Nur zwei Jahre nach dem Original folgt mit Hitman 2: Silent Assassin in 2002 der zweite Streich des dänischen Entwicklerstudios IO Interactive. Dieses Mal ist das Spiel nicht nur für PC erschienen, sondern auch mit Versionen für alle Konsolen seiner Zeit, also GameCube, Playstation 2 und Xbox. Auf dem GameCube nahm ein Speicherstand sogar 59 so genannte Blöcke in Anspruch. Wer es nicht weiß: Speicherkarten für den GameCube wurden in den Größen 59, 251 und 1019 Blöcke verkauft. Die kleinste Speicherkarte reichte also gerade so für Hitman 2: Silent Assassin. Aber mal lustiges Trivia-Wissen beiseite: Ist der zweite Teil denn die große Verbesserung, die es schafft, die Stärken des Originals beizubehalten und seine Ecken glatt zu bügeln?
Eine Geschichte mit mehr Persönlichkeit
Nach den Ereignissen des ersten Teils hat 47 sein Leben als Profi-Killer an den Nagel gehängt und ein friedliches Leben bei einer sizilianischen Kirche angefangen. Schnell nach Spielstart findet dieses ruhige Leben jedoch ein Ende, wenn der Pater der Kirche gekidnapped wird und die Entführer eine große Geldsumme verlangen. Wie praktisch, dass 47 seinen Laptop, der ihn mit der Agency verbindet, behalten hat. Direkter als im Vorgänger wird 47 ein persönlicher Anreiz gegeben, Aufträge zu erledigen, die gleichzeitig eine eigene Geschichte erzählen, die sich auf wenig überraschende Weise mit 47s Aufgabe, den Pater zu retten, sowie seiner Vergangenheit verbinden. Zwar nimmt die Story immer noch keine allzu große Rolle ein, aber definitiv eine größere Rolle als im Vorgänger und findet zu einem äußerst zufriedenstellenden Ende.

All das wird wieder mit stilsicheren Zwischensequenzen inszeniert, die kreative Kameraeinstellungen, teilweise schnelles Editing und gute Sprecherleistung mitbringen. Der dänische Schauspieler David Bateson, der 47 seit dem ersten Teil bis heute seine Stimme leiht und auch schon vor der Kamera an der Seite von Mads Mikkelsen stand, schien, so wirkt es zumindest auf mich, in seinem Englisch selbstsicherer geworden zu sein. Im ersten Teil hatte 47 so eine unfreiwillige Komik, jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte, und die Betonung vieler Sätze war schlichtweg seltsam. Das alles ändert sich in Silent Assassin. Jetzt klingt Bateson wirklich wie der stoische 47, der er sein soll.
Eine neue alte Stimme, mit der 47 viel sprechen wird, ist Diane. Im ersten Teil las man nur ihre Missionbriefings. Sie sprach noch kein Wort. Dieses Mal wird sie gesprochen von Vivienne McKee, eine britische Schauspielerin, die später nach Dänemark zog. Als gelernte Schauspielerin schafft sie es, Diane direkt eine glaubhaft, nicht ganz kalte, aber professionelle Stimme zu geben, aus der man gleichzeitig ein bisschen Fürsorge für 47 heraushören kann. Wie Diane in Silent Assassin präsentiert wird, gibt der Figur gleich viel mehr Charakter als noch im ersten Teil und dadurch mehr Spielenden sicherlich gestiegenen Anreiz, während der Briefings tatsächlich aufzupassen.
Die neue, alte Steuerung
Das Moment-to-Moment-Gameplay hat sich im Vergleich zum Vorgänger kaum verändert. Nur die neue Standard-Tastenbelegung entspricht dem, was wir aus Third-Person-Shootern auf dem PC bis heute gewohnt sind. Sprinten ist keine eigene Taste mehr, sondern findet, wie wir es kennen, aus einer Kombination von W + Umschalt statt. Sich lehnen wurde von Q und E auf Y und C verschoben. Da man sowieso steht, während man sich lehnt, geht diese Änderung schnell ins Muscle Memory über. Die rechte Maustaste ruft ein Menü auf, aus dem man ein Item oder eine Waffe aus dem Inventar auswählen kann. Währenddessen wird das Spiel in Zeitlupe versetzt. Im ersten Teil nutzte man die rechte Maustaste noch, um mit Gegenständen oder Leichen zu interagieren. Den Job macht jetzt E. All das sorgte zwar dafür, dass ich mich nach dem Vorgänger etwas umgewöhnen musste und gerne mal die rechte Maustaste drückte, während ich eigentlich E hätte drücken sollen, aber sobald man das neue Schema verinnerlicht hat, entsteht ein wesentlich angenehmerer Spielfluss als zuvor. Das liegt vor allem daran, dass man mit dem Interaktionsknopf nicht erst ein Menü aufruft, aus dem man dann seine Interaktion auswählen muss wie in Codename 47, sondern dieses Menü die ganze Zeit im oberen linken Bildschirmrand angezeigt wird und sich daran orientiert, zu welchem interagierbaren Gegenstand man am nächsten steht. Dadurch muss man das Objekt, womit man interagieren will, nicht mehr zuerst im Blick haben. Das hilft vor allem beim Verstecken von Leichen.

Doch wie gesagt ist der Rest gleich geblieben. Das heißt, 47 wackelt beim Zoomen mit dem Scharfschützengewehr immens und wird mit der Pistole nach nur ein paar Metern ziemlich ungenau. All das soll natürlich die Spielenden dazu bewegen, einen Weg hinter den Rücken des Ziels zu finden, um dieses still und heimlich mit der Klaviersaite zu erledigen. Man kann sich aber auch einfach durchs Level ballern, was gerade in Silent Assassin so einfach sein dürfte, wie in kaum einem anderen Teil. Zumindest wenn man auf Normal spielt. Anders als im Vorgänger gibt es keine Kevlarweste mehr, die man sich optional dazu kaufen kann oder in Leveln finden kann. 47 hält schlicht und ergreifend ziemlich viel aus.
Wie man selbst zum Silent Assassin wird
Bis auf wenige Level, in denen es nicht erlaubt ist, den Alarm auszulösen, wird der Rambo-Spielstil nicht bestraft. Das Kaufsystem des Vorgängers ist verworfen worden. Jetzt erhält man Waffen, indem man sie aus Leveln mitnimmt und so für spätere Level auswählen kann. Das steigende Waffeninventar wird schön in einer Hütte im sizilianischen Kloster, das 47 als Hideout nutzt, demonstriert. Gleich zu Spielbeginn sieht man hier zahlreiche Silhouetten an der Wand, die einen anfixen sollen, Level mehrfach zu spielen, um alle Waffen zu sammeln. Da das Kaufsystem des Vorgängers, zumindest durch meine Spielweise, schnell zu ignorieren war, find ich diese Änderung ganz nett.
Des Weiteren wurde eine Art Scoring-System eingeführt. Im Vergleich zur World of Assassination-Trilogie verteilt dieses jedoch keine Punkte, sondern ist eher als eine Reflektion des Spielstils zu betrachten. Natürlich gibt es eine Höchstbewertung, die passenderweise Silent Assassin heißt, und das Erreichen davon gibt einem eine Bonuswaffe im sizilianischen Versteck, aber darunter gibt es 40 weitere Ränge, die man erreichen kann, die in ihrer Wortwahl immer gewaltiger werden. Der unterste Rang heißt Mass Murderer. Die Bewertung gibt sich zusammen daraus, ob und wie viele Alarme man ausgelöst hat, wie viele Nicht-Ziele man getötet hat, wie viele Zeugen es gab und noch einige andere Faktoren. Solange ich aber halbwegs schleichend unterwegs war, und das war ich meinen ganzen Playthrough über, habe ich Ränge bekommen, mit dessen Betitelung ich vollkommen zufrieden war. Bevor ich mich darin eingelesen habe, wie das Bewertungssystem funktioniert, wusste ich sowieso nicht, was der Unterschied zwischen einem Professional und Hired Killer war.

Normalerweise bin ich kein Fan von Scoring-Systemen außerhalb von Arcade-Spielen. Besonders Schleichspiele nutzen diese seltsam. Dishonored beispielsweise hat dutzende an Fähigkeiten, die Gegner umbringen, aber am Ende kriege ich Bonuspunkte dafür, wenn ich niemanden umgebracht habe. Hier gefällt mir die abstrakte Bewertung von Hitman 2: Silent Assassin spürbar mehr, weil es mir keine objektive Note gibt, die mir am Ende eines Levels sagen kann: „Du warst schlecht“.
Ich darf speichern? So ganz alleine?
Bei 47s neuen Reihe an Aufträgen für die Agency geht es erneut um den halben Globus. Egal ob Russland, Malaysia, Japan, Indien oder Afghanistan – die Level sind erneut riesig, abwechslungsreich und detailreich. Dieses Mal sieht das Spiel nicht die eine perfekte Möglichkeit vor, das Ziel zu erledigen, sondern bietet zahlreiche Möglichkeiten, die auf der aufrufbaren Map auch markiert werden. Hierbei hilft es immens, dass der zweite Teil nicht mehr das seltsame Lebenssystem des Vorgängers hat, sondern man nun frei speichern kann. Der Schwierigkeitsgrad bestimmt, wie oft man pro Level speichern kann. Normal sieht sieben Speichermöglichkeiten vor, Expert zwei und Professional gar keine. In manchen Leveln ist es sogar möglich, weitere Speicherungen dazu zu gewinnen.
Die Option, jederzeit selbst zu speichern, erlaubt für drastisch gestiegene Experimentierfreudigkeit. Komm ich mit der Verkleidung an den Wachen vorbei? Kann ich das Trinken vergiften, ohne gesehen zu werden? Nun kann ich vor großen Entscheidungen, die meinen Run ruinieren könnten, speichern und mich mehrfach daran versuchen, ohne das gesamte Level vorher erneut spielen zu müssen. Die Tatsache, dass ich nur bestimmt oft speichern kann, macht es auch nicht zu einfach. Und da die Level in der Regel mehrere Optionen zur Zielerfüllung bieten, kann ich jederzeit meinen Ansatz ändern, sollte eine gewisse Methode nicht funktionieren oder zu schwer sein.

Die Introsequenz des ersten Levels, das noch auf der sizilianischen Insel spielt, demonstriert dies ganz einfach. Es gibt einen Hintereingang, bei dem ein Bote neue Zutaten in die Küche bringt. Es gibt eine verschlossene Tür an der Seite, durch die irgendwann eine der Wachen rauskommt, um sich zu erleichtern. Und es gibt einen Postboten mit Blumen in der Hand, der auf dem Weg zum Vordereingang der Villa ist. Das Spiel sagt einem ins Gesicht: „Mach damit, was du willst“. Zuerst habe ich es als der Lebensmittelbote versucht. Ich hab ihn umgebracht, die Leiche versteckt, seine Klamotten angezogen und bin mit einer Ladung Lebensmittel durch den Hintereingang Richtung Küche. Die Wachen sehen mich verdächtig an, aber ich komme problemlos in die Küche. Nur die Köchin dreht bei meinem Anblick sofort durch und ruft die Wachen. Na gut, dann probiere ich die Wache. Gleiches Spiel. Drinnen angekommen schauen mich meine Wachenkollegen verdächtig an und gehen sogar direkt auf mich zu. Nach wenigen Sekunden im zu nahen Sichtfeld einer Wache fängt diese an zu schießen. Hmm, klappt irgendwie auch nicht. Dann der Postbote. Wieder aus dem Weg geräumt und verkleidet. Vorher meine Waffen in den Lebensmitteln des Küchenboten versteckt, da ich am Eingang gefilzt werde. Jetzt bin ich im vorderen Hof, komme sogar bis die Lobby der Villa, ohne dass mich jemand verdächtig anschaut, aber was nun?
Wachen mit Röntgenblick
Die KI aller NPCs sah eine enorme Veränderung. Während NPCs im ersten Teil 47 völlig ignorieren würden, sobald man die richtige Verkleidung hat, blicken sie einen hier verdächtig an. Wie schnell man entlarvt wird, hängt sehr von Gegnertyp und Level ab und so ganz blicke ich da immer noch nicht durch. Betrachten wir das vorige Szenario der sizilianischen Villa nochmal. Dass die Wachen sich untereinander kennen, ergibt durchaus Sinn. Dass sie es also ein bisschen seltsam finden, wenn da einer in ihrer Klamotte herumstolziert, den sie nicht kennen, ist fair. Ich kann mir ebenfalls vorstellen, dass sie eventuell einen festen Boten für Lebensmittel haben und das Küchenpersonal diesen kennt. Genauso ergibt es Sinn, dass die Wachen einen zufälligen Postboten nicht kennen und deswegen bei dieser Verkleidung nichts vermuten. Diese Logik bei jedem Level anzuwenden, funktioniert jedoch nicht. Es gibt zwei Level in Japan, die während eines Schneesturms stattfinden und alle in Vollkörperkleidung mit Maske herumlaufen. Wieso fragen diese Wachen mich nach meinem Ausweis, wenn sie mich in ihren Klamotten sehen? Woran erkennen sie, dass ich fremd bin?

Es fühlt sich an wie eine Überkorrektur. Im ersten Spiel waren die NPCs leer im Kopf und im zweiten Spiel sind sie auf einmal hyperaware. Dadurch wird man dazu gezwungen, sich gänzlich von Wachen fernzuhalten und die wenigen Momente, in denen man sich an welchen in Verkleidung vorbeizuschleichen versucht, lassen das Herz schneller schlagen. Warum mir die Wachen aktiv hinterherlaufen in manchen Leveln, um mich zu identifizieren und in anderen wiederum nicht, weiß ich nicht. Sind die Wachen in Italien einfach vorsichtiger als die in Indien? Ist das Storytelling durch Spielmechaniken? Ich bin nur froh, dass ich frei speichern kann, denn die deutlich sensibleren NPCs in Kombination mit dem Lebenssystem aus Codename 47 hätten mich um den Verstand gebracht. Schon erstaunlich, wie viel mehr man einem Videospiel vergibt, wenn weniger auf dem Spiel steht. Womit ich nicht sagen will, dass mir dieses neue System nicht gefällt. Ganz im Gegenteil. Das Regelwerk dieses Systems scheint mir nur zu streng im zweiten Teil.
Oh nein, die Musik ist schlechter geworden?
Bevor ich zum Schluss komme, muss ich noch über die Musik reden. Immerhin habe ich diese in meiner Review zum ersten Teil in den Himmel gelobt. Im Fall von Silent Assassin ist das leider die eine Sache, die ein kleines Downgrade gesehen hat. Sie ist immer noch großartig, keine Frage. Nur hat sie komplett den Stil gewechselt. Weg von dem Seltsamen und so ein bisschen Unheimlichen des Vorgängers, erzeugt durch Keyboard und Samples. Hin zu kontemporärer Orchestermusik, wo in jedem Setting ortsgenössische Instrumente mit eingebaut werden. So hört man Bambusflöten in Japan oder Bongos in Indien. Die Kompositionen sind zwar nach wie vor herausragend, nur verliert der Klang des Spiels dadurch die Einzigartigkeit des ersten Teils.
Fazit
Hitman 2: Silent Assassin ist die Art von Sequel, die wir in der heutigen Videospiellandschaft leider nie wieder sehen werden. Die Fortsetzung zu einem ersten Teil mit Potential, aber deutlichen Fehler, der fast alle Fehler auszubügeln weiß und das Potential des Vorgängers offenlegen kann, wenn er auch seine eigenen kleinen Fehlerchen mitbringt. Die Level sind noch besser geworden und die Missionsstruktur flexibler. Die KI ist komplexer geworden, nur viel zu sensibel. Und die Präsentation sorgt dafür, dass ich mehr Interesse an der Handlung hatte. Jetzt muss der dritte Teil nur noch die Kanten glattbügeln.