Die Ursprünge des Glatzkopfs mit Barcode: Hitman: Codename 47 in der Retrospektive

Hitman: Codename 47 stellt die Anfänge des dänischen Entwicklerstudios IO Interactive dar, die nächstes Jahr mit 007 First Light ein neues Spiel im James Bond-Universum veröffentlichen wollen. Ende 2000 startete 47s Reise um den ganzen Globus, im Auftrag schmierige Bösewichte heimlich und leise zu eliminieren, und das erstmal nur auf dem PC. Anders als seine Fortsetzungen sah der erste Teil keine Veröffentlichung auf den Konsolen und damit auch kein Jahre später erscheinendes HD Remaster auf PS3 und Xbox360. Wer 47s Origin-Geschichte heutzutage spielen möchte, muss auf GOG oder Steam zurückgreifen und sich dann auch noch ins PCGamingWiki einlesen, um das Spiel vernünftig zum Laufen zu bekommen. Ob es den Aufwand aber überhaupt wert ist, steht wieder auf einem anderen Blatt.

Immer wieder alles auf Anfang

Das Spiel eröffnet mit einem 47, der in einer Art Gefängniszelle gefangen ist und von einer Stimme aus dem Off ins nun folgende Tutorial begleitet wird. Schnell bemerkte ich, wie seltsam die Standardbuttonbelegung ist. W ist vorwärts gehen. S ist sprinten? A und D drehen einen nur im Kreis wie bei Tank Controls. Dabei gibt es sogar Tasten fürs direkte nach links und rechts strafen. Entweder man gewöhnt sich an das seltsame Steuerungsshema des ersten Teils oder legt alles ein bisschen um, damit es halbwegs modernen Konventionen entspricht. Ich hab zweiteres gemacht. Und danach auch nie wieder Probleme mit der Steuerung gehabt. Also folge ich gemütlich dem Tutorial, lerne die Basics des Spiels und stehe schließlich vor einem ersten richtigen Gegner. Da Hitman ein Schleichspiel sein soll, stecke ich die Waffen, die ich im Laufe des Tutorials gesammelt habe, weg, drücke auf Leertaste, was 47 in einen Schleichmodus versetzt und schleiche mich mit der Klaviersaite von hinten an. Bis der Gegner sich umdreht, mich mit einem Elektroschocker erwischt und auf einmal bin ich ganz am Anfang des Tutorials. Zurück in der Zelle.

47 erwacht an ein Bett gefesselt.

Das ist die Art von Spiel, die das erste Hitman ist. Kein manuelles Speichern. Keine Checkpoints. Du schaffst es in einem Rutsch oder du stirbst. Es gibt zwar eine Art Arcade-artiges Lebenssystem, aber das funktioniert konterintuitiv zum Rest des Spiels. Es gibt Level, da kann man einmal oder manchmal zweimal respawnen nach dem Ableben. Was jedoch passiert, ist, dass man an den nächsten Spawnpunkt gesetzt wird und wenn dieser zu nah an den Gegnern ist, die einen gerade getötet haben, wissen sie sofort, wo man respawnt ist, rennen dir hinterher und bringen dich erneut um. In all meiner Spielzeit gab es ein einziges Level, bei dem das nicht passiert ist. Die Entwickler*innen bei IO Interactive haben offensichtlich realisiert, dass ihre Level ziemlich groß und komplex sind und wollten Spielenden eine Möglichkeit geben, sich von Fehlern erholen zu können, doch dieses Lebenssystem hilft im Prinzip gar nicht.

Jesper Kyds bezaubernd verstörende Musik

Im ersten richtigen Level in Hong Kong angekommen, fällt mir eine Sache sofort auf. Die Musik. Hitman: Codename 47 ist einer von Jesper Kyds frühsten Videospielscores und endlich verstehe ich, wieso es 2016 einen großen Aufschrei gab, als IO Interactive den Komponisten für ihre World of Assassinations-Trilogie gewechselt haben. Jesper Kyd ist neben Hitman wahrscheinlich auch Assassin’s Creed-Fans ein Begriff, denn er komponierte die Soundtracks vom ersten Teil bis Revelations. Den Track Ezio’s Family hört man bis heute in verschiedensten Versionen in den Spielen. Doch seine Kompositionen, mit denen ich bereits vertraut war, wie eben Assassin’s Creeds Mix aus zeitgenössischen Instrumenten, Choren und Elektronik, haben mich nicht darauf vorbereitet, wie einzigartig seine Musik für Hitman ist. Die grundlegenden Beats sind super eingängig, was perfekt zu Jespers Anfängen in der 80er und 90er Amiga Demoscene passt, doch sie sind so seltsam instrumentalisiert. Alles ist, denke ich zumindest, mit Keyboard und Samples gemacht, aber es hört sich stellenweise an, als würde man einem Fest eines alten afrikanischen Stammes beiwohnen, während ein DJ daneben auflegt. Die Musik ist sowohl bedrückend wie gleichzeitig catchy und fängt die Stimmung jedes Levels perfekt ein.

Über Geld und Trial & Error-Puzzle

Bevor man ein Level startet, gibt es ein Briefing mit der namenslosen Agency, für die 47 arbeitet, die einem den Missionsverlauf, das Ziel und eventuelle Nebenziele präsentiert und wo man auswählen kann, welche Waffen man mit ins Level nehmen möchte. Jeder Auftrag gibt 47 Geld, mit dem man sich die Waffen und andere Ausrüstung kaufen muss, die man mitnehmen möchte. Sollte man der Agency extra Arbeit machen, indem man beispielsweise Zivilist*innen umbringt, wird Geld abgezogen und besseres Equipment für die nächste Mission wird unkaufbar gemacht. Letzteres ist wieder eine seltsam konterintuitive Designentscheidung, weil die beste Ausrüstung, die für die meisten Missionen zum Kauf zur Verfügung steht, laute und große Gewehre sind, mit denen man sofort auffallen würde und gezwungenermaßen auf einen Rampage gehen müsste, was wiederum dafür sorgen würde, dass man das im darauffolgenden Level nicht kann. So lief es bei mir darauf hinaus, dass ich jedes Level nur Klaviersaite, Messer, Pistole mit Schalldämpfer und Kevlarweste mitgenommen habe. Da das Spiel einen aber möglichst wenig softlocken möchte, sollte man es irgendwie geschafft haben, kaum noch Geld zu haben vor dem Start einer Mission, kann man vieles an Equipment in den Leveln selbst finden. Ich für meinen Teil hatte das ganze Spiel über so viel Geld, dass ich mir um dieses System nie Gedanken machen musste.

Das Menü zum Kaufen von Equipment. Sollten Waffen ausgegraut sein, hat man im vorherigen Level zu viel Krach gemacht.

Worüber ich mir viel eher Gedanken machen musste, war es, unentdeckt zu bleiben. Die Gegner im ersten Teil sind noch erstaunlich simpel gestaltet. Ist man im Besitz einer Verkleidung geraten, die es einem erlaubt, überall im Level hingehen zu dürfen, kann man das auch problemlos tun. Dadurch fängt jedes Level damit an, dass ich erst einmal versuche, an die Klamotten einer Wache zu kommen. Also schnappe ich mir einen Gegner, der weit abseits vom Rest steht, erledige ihn, verstecke seine Leiche und nehme seine Klamotten an mich. In den wenigsten Leveln gibt es jetzt noch Bereiche, in die man ganz explizit nicht darf. In diesen Fällen stehen aber Wachen davor, die einen darüber informieren. Anders als in späteren Teilen können einen Gegner nicht entlarven, solange man nicht anfängt, vor ihren Augen zu töten. Sobald man verkleidet ist, geht es darum, den Rest des Puzzles zu lösen: Wie komme ich, ohne Alarm auszulösen, an mein Ziel und töte es, ebenfalls ohne Alarm auszulösen? Das bedeutet: Trial & Error. Kann ich hier lang gehen? Kann ich damit interagieren? Sieht mich niemand, wenn ich von hier schieße? Und ja, wie am Anfang angedeutet, bedeutet das, dass man nach jedem Fehlschlag das Level komplett neustarten darf. Bei den zahlreichen kürzeren Leveln, die das Spiel zu bieten hat, stellt das gar kein so großes Problem dar. Aber die oftmals letzten Level an einer Ortschaft sind meist die größten und komplexesten und da kann es wirklich nervig werden, wenn man nochmal eine Verkleidung besorgen muss, nochmal die Geisel aus dem Keller retten muss und nochmal die Prostituierte aus den Hinterzimmern retten muss, um dann einen weiteren Versuch am Töten des eigentlichen Ziels haben zu dürfen. Ja, das war ein konkretes Beispiel.

Wunderschöne Level geplagt von Ärgernissen

So sehr das Trial & Error-Prinzip den großen Leveln schadet, kann ich nichts gegen die Level selbst sagen. Neben dem Soundtrack sind die Ortschaften die größte Stärke des Spiels. Vor allem das riesige Triaden-Restaurant in Hong Kong und das Hotel in Österreich protzen mit Details und Leben. Zahlreiche NPCs laufen durch die Level. Alle haben ihre eigenen kleinen Routinen, mit denen sie ihre eigenen kleinen Rollen erfüllen. Den meisten Spaß hatte ich jedes Mal, wenn ich in ein neues Level gekommen bin, dieses erstmal gründlich zu studieren. Verstecke, Equipment und Möglichkeiten zu suchen. Die detaillierte und einfach benutzbare Karte, die man jederzeit aufrufen kann, hilft einem, den Überblick zu behalten.

Einem chinesischen Kellner wird 47s Klaviersaite zum Verhängnis.

Was dem Leveldesign leider in diesem Spiel gerne im Weg steht, ist das Missionsdesign. Anders als in späteren Teilen, gibt es für jedes Level nur eine perfekte Art und Weise es zu lösen, wenn man nicht gerade Rambo spielen möchte. Und in manchen Leveln bin ich mir immer noch nicht sicher, was genau die von den Designer*innen intendierte Art und Weise gewesen wäre. Das beste Beispiel ist hier das Level im Dschungel, wo man, und das ist kein Witz, Antonio Montana aus Scarface umbringen muss. Hier soll man als Nebenziel eine Bombe in einem Bunker platzieren. Allerdings stehen vor beiden Bunkereingängen Wachen, die einem erzählen, man dürfe nicht rein. Ganz egal, welche Verkleidung man trägt. Ich habe also das gesamte Level nach einem dritten, geheimen Eingang abgesucht oder ob es noch irgendeine Verkleidung gibt, die mich doch reinließe. Keine Chance. Verzweifelt schaue ich in ein YouTube-Video und sehe, wie der Spieler schlichtweg, nachdem er von den Wachen verwarnt wird, weiterläuft und nicht abgeschossen wird. „Das kann doch nicht sein“, denke ich mir und konsultiere das nächste Video. Da macht’s der Videoersteller genauso. Also mach ich das auch. Bei meinem ersten Versuch brauche ich zu lange, um an den Wachen vorbeizugehen, sodass sie anfangen, mich abzuschießen. Beim zweiten Versuch hat’s funktioniert. Einfach dranvorbeigegangen, Tür hinter mir zu, Bombe platziert und wieder raus. Ich werde beim Rausgehen nochmal verwarnt, als ob ich gerade erst vor der Tür stehen würde und nie drinnen gewesen wäre und das war’s. Es wirkt schlicht und ergreifend nicht so, als wäre das richtig, als wäre das intendiert. Ich weiß aber nicht, wie man es anders machen soll, ohne zu ballern.

Der ikonische Glatzenträger und seine Geschichte

47 mit dem Barcode auf dem kahlen Hinterkopf ist eine Figur, die nicht ganz den Status einer Lara Croft haben mag, aber definitiv ganz oben mit dabei ist. Und das obwohl er selbst recht wenig Charakter zeigt. Er ist stoisch, kalkulierend und ruhig. Nur wenn er sich als Tobias Rieper im Hotel in Österreich vorstellt, bekommt man einen kleinen Einblick in eine bisschen sarkastische Art, die in späteren Teilen immer einen kleinen wenig eingebaut wird. Das alles obwohl sich der erste Teil noch in eine Richtung entwickelt, in der die Geschichte für 47 persönlich wird. Wer er ist und wo er herkommt wird den meisten Spielenden durch popkulturelle Osmose mehr oder weniger bewusst sein, dennoch gefiel mir das Ende und seine Twists jetzt noch 25 Jahre nach Erscheinen. Vor allem die Inszenierung der Cutscenes steigt Richtung Finale schlagartig in Qualität und Kreativität, sodass ich mich auf einmal investiert in einer Geschichte fand, die bis dahin nur im Hintergrund stattfand. Mein kleines Aber an dieser Stelle wäre jedoch 47s Aussehen. Es wirkt so, als hätte man im ersten Teil sich noch nicht ganz darauf einigen können, wie 47 überhaupt aussehen soll. Sein Charaktermodell im Spiel wirkt ziemlich cartoonhaft, gerade das Gesicht. Hingegen wirkt er in den vorgerenderten Ladebildern wie ein psychopathischer Killer.

Einer der vielen seltsam aussehenden, vorgerenderten Ladebildschirme des Spiels.

Fazit

Insgesamt ist das erste Spiel im Hitman-Franchise ein Spiel mit Potential, was von vielen Aspekten zurückgehalten wird. Die Level sind das offensichtliche Highlight, womit einer der wichtigsten Pfeiler der Spiele bereits stand. Das eigentliche Moment-to-Moment-Gameplay ist ebenfalls völlig in Ordnung und etwas, was sich im zweiten Teil abseits der Tastenbelegung nicht ändern wird. Aber ein frustrierendes Missionsdesign kombiniert mit dem fragwürdigen Lebenssystem sorgen dafür, dass man starke Nerven braucht, um alle Missionen zu ihrem Ende zu bringen. Ein fantastischer Soundtrack kann nur wenig über diese Schwächen hinüber hinweg helfen.

55/100
Total Score

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