Mehr Add-on als vollwertiger dritter Teil: Hitman: Contracts in der Retrospektive

Es ist April 2004. Hitman: Contracts erscheint. Erst vor acht Monaten hat IO Interactive ihr erstes Nicht-Hitman-Spiel veröffentlicht in Form von Freedom Fighters. Ein Jahr vor Freedom Fighters kam Hitman 2: Silent Assassin. Der Abstand zwischen Teil zwei und drei war damit ein bisschen kleiner als noch zwischen eins und zwei. Und mittendrin kam noch ein weiteres Spiel des Entwicklerstudios heraus. Contracts wird sich also unter kürzerer Entwicklungszeit Ressourcen mit einem anderen Spiel geteilt haben müssen. Und das merkt man leider.

Eine verfrühte Nostalgie

Es ist gerade einmal der dritte Teil des Franchises und wir schicken Agent 47 bereits auf eine Reise durch die Vergangenheit. Während eines Jobs ist unser liebenswerter Glatzkopf angeschossen worden und kann sich gerade so in ein Apartment sichern, wo er von jemandem operiert wird. In der Zwischenzeit muss 47 dabei immer wieder an vergangene Jobs denken. Das ist die gesamte Story dieses Mal und es ist ziemlich enttäuschend. Die Zwischensequenzen, dieses Mal leider vorgerendet, sind wie immer kreativ in Szene gesetzt und finden nahtlose Übergänge zwischen 47s Leidenstour in der Gegenwart und Introsequenzen zu seinen alten Aufträgen.

Ein angeschossener 47 liegt auf dem Boden und ein französischer Arzt hilft ihm hoch. Dadurch dass die Zwischensequenzen vorgerendert sind, in einem Spiel von 2004, sind sie leider nicht in der besten Videoqualität.
Ein angeschossener 47 liegt auf dem Boden und ein französischer Arzt hilft ihm hoch. Dadurch dass die Zwischensequenzen vorgerendert sind, in einem Spiel von 2004, sind sie leider nicht in der besten Videoqualität.

Was ich dabei mag, ist, wie man einige Aufträge mittendrin startet. So fängt Contracts beispielsweise genau da an, wo der erste Teil noch aufgehört hat. Nach der Ermordung von 47s Schaffer, muss er sich aus der Anstalt herausschleichen. Überall auf dem Weg liegen Leichen und man sieht 47s Klone Amok laufen. Was die Atmosphäre angeht, ist diese Szene unglaublich gut. Auch wenn ich selbst bei meinem Playthrough von Codename 47 nicht so viele Leichen auf dem Weg zu Papa hinterlassen habe. Doch führt es leider zu nichts. Anders als in den vorigen beiden Spielen werde alle Aufträge völlig losgelöst voneinander präsentiert und das finde ich schade. Natürlich waren die ersten zwei Teile keine Meisterwerke in Punkto Geschichte, aber ich mochte, was sie damit machten und vor allem wie die Aufträge am Ende zu einem großen Finale zusammengewoben wurden. Contracts macht das nicht. Es hat eine eigene Idee für einen kleinen Twist in der finalen Mission, die ich ebenfalls mag, weil es anders ist als vorher und gleichzeitig ist die Idee aber eben trotzdem nicht so gut wie vorher.

Eine kleine Veränderung mit großen Folgen

Spielerisch ist am dritten Teil quasi nichts anders zum Vorgänger. Die Steuerung ist exakt die selbe. Nur das doppelte Lehnen wurde entfernt. Wahrscheinlich weil es schlicht und ergreifend zu mächtig gewesen ist. Auch das Ranking-System ist fast eins zu eins übernommen worden, nur wurden ein paar weitere Ränge hinzugefügt. Das ist kein Kritikpunkt. Was die Steuerung und Spielbarkeit angeht, war der zweite Teil perfekt.

47 erwürgt einen Polizisten, nachdem er ihn aus der Polizeistation gelockt hat.

Was überarbeitet worden ist, ist die KI. Im Vorgänger war einer meiner größten Kritikpunkte, dass die Gegner zu schnell in der Lage waren, durch 47s Verkleidung zu blicken und ihn zu enttarnen. In seiner Funktion ist dieses Feature immer noch in Contracts vorhanden, allerdings wurde die Rate, in der NPCs 47 gegenüber verdächtig werden, drastisch reduziert. Es gibt auch keine NPCs mehr, die einem hinterherlaufen, um 47 zu identifizieren und so zu entlarven. Das sorgt für mehr Freiheit in den Leveln. Statt dass ich schnell nervös im Anblick eines Gegners werde, habe ich mich mehr getraut, die Level weitflächiger zu erkunden und so mehr Vorgehensweisen auszuspähen.

47 ist als Bauarbeiter verkleidet gefilzt worden. Keine Waffen wurden gefunden. Die sind in seiner Toolbox versteckt.
47 ist als Bauarbeiter verkleidet gefilzt worden. Keine Waffen wurden gefunden. Die sind in seiner Toolbox versteckt.

Nur in zwei Leveln gab es Momente, in denen ich meine Opfer auf laute Art und Weise ausgeschaltet habe, ohne dabei identifizierbar als Täter zu sein und trotzdem galt meine Tarnung als aufgeflogen und jeder schoss beim ersten Anblick auf mich. Was ich damit meine, ist beispielsweise das Level in der Villa in England. Dort soll man einen reichen, schnöseligen Sohn töten, der vor dem Kaminfeuer mit einem Freund abhängt. Das kann man unter anderem machen, indem man einen Benzinkanister den Kaminschacht hinunterwirft und dadurch eine große Explosion entsteht. Folglicherweise kommen Wachen langsam zum Dachgeschoss, wo die Kaminöffnung ist, in der man den Benzinkanister hineinwerfen kann. Doch selbst wenn ich zuvor weglaufe oder mich verstecke, gelte ich nach der Explosion als enttarnt. Warum? Keine Ahnung. Es scheint mir ein Bug zu sein, dass 47 enttarnt wird, sobald das Ziel auf auffällige Art stirbt. Auch wenn ich diesen Punkt jetzt ausgeführt habe, ist dies aber nur eine Kleinigkeit. Durch die winzige Veränderung im KI-Verhalten ist Contracts bisher der spielerisch beste Teil.

Vier neue gute Level und acht schlechte alte

Das Leveldesign ist die eine Sache, mit der ein Hitman-Spiel steht oder fällt. Der erste Teil wurde nur durch seltsames Missionsdesign zurückgehalten, die Level selbst waren aber zum größten Teil gut. Der zweite Teil war eigentlich beinahe perfekt im Leveldesign und hatte nur kleine fragwürdige Stellen hier und da. Im dritten Teil aber sind die meisten Level irgendwie langweilig. Und oben drauf kommt, dass acht der zwölf Level Remakes von Leveln aus dem ersten Teil sind. Ihr habt richtig gelesen. Level zwei bis vier und Level zwölf sind die einzig neuen Missionen in Hitman: Contracts. Der Rest sind Remakes vom ersten Spiel.

Dieser Ort kommt mir irgendwie bekannt vor.

An sich finde ich die Idee nicht verkehrt, den Leveln aus Codename 47 eine zweite Chance zu geben – mit besserem Gameplay und besserem Gegnerverhalten. Ob es funktioniert hätte, schlicht die alten Level in neuer Grafik ins neue Spiel zu packen, weiß ich nicht. Das neue Gameplaysystem hätte die ein oder andere Stelle eventuell brechen können. Also hat man die Level neugemacht. Manche hat man stark verändert, wie die Level am Hafen in Rotterdam. Andere hat man nah am Original gelassen, wie das Hotel oder die Level in Hongkong. Was mir in beiden Fällen jedoch aufgefallen ist, ist, dass sich die Level kleiner anfühlen und das große Scaling im ersten Teil ist eigentlich etwas, was mir gefällt. Gerade der Hafen ist nun winzig und der Moment, dass man ein Radar an ein Auto anbringen muss, was zum Treffpunkt für den Waffenhandel fährt, ist noch im Spiel, aber völlig sinnlos. Im ersten Teil fuhr das Auto an eine zufällig ausgewählte Lagerhalle des Levels. In Contracts kann das Auto nur zur einer bestimmten Position fahren, weil es nur ein Dock gibt.

Das erste Level in Rotterdam ist so anders, dass ich es zuerst gar nicht wiedererkannt habe.

Gleichzeitig sind die Level einfacher geworden. Im Original ist eben genannter Hafen riesig, weitläufig und hat viele leere Flächen. Das sorgt zwar dafür, dass man mehr laufen muss und das Level vielleicht langweiliger aussehen mag, als die dichter zusammengepackten Orte im dritten Teil, jedoch sorgt es auch dafür, dass man Gegner nicht einfach so töten kann, weil man von überall gesehen werden könnte. Anderes Beispiel: Die letzte Mission in Hongkong findet in einem riesigen Restaurant statt, was gleichzeitig als Bordell und Hauptquartier einer Triade gilt. Was ich mich im Keller in diesem Level verlaufen habe im Original, um den amerikanischen Kollegen zu befreien. Doch hier ist der Keller kleiner, das Restaurant kleiner und das ablegene Hauptquartier vom Chef habe ich ehrlich gesagt nie gesehen, weil das Addieren einer zweiten Etage zum Restaurant mir einen einfachen Blindspot gegeben hat, von dem ich aus das Ziel erledigen konnte. Die Atombombe im Schifflevel muss man auch nicht mehr entschärfen, wodurch es keinen Druck mehr gibt, im wesentlich kleineren Schiff das Ziel zu finden.

In Rumänien ist 47 in einer seltsamen Drogen- und BDSM-Party in einer Metzgerei unterwegs.

Vielleicht mag es sein, dass mir die Level einfacher gefallen sind, weil ich den ersten Teil erst mit einem Monat Abstand gespielt habe. Denn die neuen Level sind deutlich anspruchsvoller und schlichtweg interessanter. Gerade das zweite Level, eine super seltsame Drogen- und BDSM-Party in einer Metzgerei in Romänien, ist eines der Highlights der Spielereihe bisher, weil das neue kompakte Design hier effektiv genutzt wird, um ein ziemlich groteskes Labyrinth zu gestalten, in welchem man drei Ziele ausfindig machen muss. Genauso wie beim Level danach musste ich hier erstmal ein wenig knobbeln, bis ich eine Taktik gefunden hatte, die funktioniert und mich tatsächlich alle drei Ziele unentdeckt erledigen lassen würde. An der Villa in England habe ich besonders lange gehangen, weil die kleinen Räume bedeuteten, dass auch Wachen dicht beinander standen, wodurch es wenig Raum für Fehler gab. Hier musste ich mehr Experimentieren, Saves machen und laden, als in den Remake-Leveln, wo ich meist beim ersten oder zweiten Versuch durchkam. Die Hälfte meiner Spielzeit, mit 6 1/2 Stunden deutlich weniger als die beiden Vorgänger, bestand vermutlich nur aus den vier neuen Leveln.

Musik wie aus einem Horrorspiel

Contracts ist womöglich der düsterste Teil der Reihe. Die Stimmung wird früh gesetzt mit dem Leichenbad im Sanatorium, das 47 zu verantworten hat und man nun nach draußen zurück abläuft. Level zwei bietet mit der Metzgerei eine Menge Blut und Kadaver, durch finstere Machenschaften auch menschliche. Im Hotel wurde die unterste Etage im rechten Flügel zu einem blutigen Tatort verändert, wo man sogar Geister in den Spiegeln sehen kann.

Weißbrot.

Diese Horrorstimmung wird durch den Soundtrack fantastisch untermalt. Dieses Mal hat man Jesper Kyd kein Orchester mit kontemporären Instrumenten zur Verfügung gegeben, weshalb er zurück zu Keyboard und Elektronik gewechselt ist. Jedoch lassen sich die Songs dieses Mal deutlich schlechter in der Disco spielen. Außer eventuell an Halloween. Langgezogene, tiefe und verzehrte Klänge machen dieses Mal den Soundtrack aus. Das lässt es nicht nur wie ein Horrospiel klingen, sondern passt sogar zu der Tatsache, dass man sich innerhalb der Level in Erinnerungen von 47 befindet, an welche er in einem Moment kurz vorm Sterben denkt.

47s Erinnerungen und seine Leidenstour in einem französischen Apartment verschmelzen miteinander, als ein russischer Soldat durch die Wohnungstür kommt und sich dahinter ein Schneesturm offenbart.

Nur die Implimentierung der Musik gefällt mir nicht ganz. Im ersten und zweiten Teil hatte jedes Level ein eigenes Thema. In Contracts haben vereinzelte Level ein eigenes Thema. Außerhalb davon wird zufällig ausgewählt, welches der Lieder des OST spielt. Die Musik ist ein großer Teil der Persönlichkeit der Level in den beiden Vorgängern und selbst innerhalb dieses Spiels. Dass hier also nur ausgewählte Level Themen haben, lässt den Rest persönlichkeitsloser erscheinen. Die Musik selbst ist gut. Sie gefällt mir mehr als im zweiten Teil, jedoch immer noch nicht so sehr wie im ersten Teil. Nur die Integrierung ins Spiel ist seltsam.

Fazit

Hitman: Contracts bietet einen kleinen Schritt nach vorne und zwei kleine Schritte zurück. Das Gegnerverhalten ist endlich da, wo es im Vorgänger bereits hätte sein sollen. Doch die neugemachten Level aus dem ersten Teil sind schlechter als ihre Originale und die Story, wenn nicht allzu wichtig für die Spiele bisher, ist ein gutes Stück uninteressanter als in den beiden Vorgängern. Damit ist der dritte Teil bei weitem kein schlechtes Spiel. Ich hatte immer noch reichlich Spaß. Es vermittelt nur mehr das Gefühl eines Add-ons für den zweiten Teil statt eines richtigen dritten Teils.

70/100
Total Score

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